European Conference on African Studies 2017
Basel und Afrika sind durch eine mehr als dreihundertjährige Geschichte miteinander verbunden. Dies prägte auch die 7. Europäische Konferenz der Afrikastudien ECAS, die unter dem Titel ‹Urban Africa – Urban Africans. New encounters of the urban and the rural› Ende Juni 2017 am Rheinknie zu Gast war.
https://www.baslerstadtbuch.ch/dossier/2017/2017-05.html
Trigon Film Magazin N°77 2. Quartal 2017
Alltag in … ኣኽሱም (Aksum), Äthiopien Neue Wege, Heft 4 April 2017
Wo Moses‘ Tafeln mit den 10 Geboten sind
Von der Kathedrale der Heiligen Maria von Zion her ertönt der monotone Singsang des Gebetsrufs des Priesters. In nächtlicher Dunkelheit strömen die Gläubigen in endlosen Schlangen aus allen Richtungen herbei und drängen sich immer dichter auf den Vorplatz und in die Kirche. Der unablässige Regen kann sie nicht abhalten. Sie wollen mit einem Gottesdienst das Fasika-Fest feiern, Ostern, die Auferstehung Christi, und haben sich in ihre schönsten Tücher im natürlichen Weiss der Baumwolle gekleidet, die im Schein der erleuchteten Kirchenfester schimmern. Ihre Gebete und Gesänge und die Trommeln und Rasseln sind noch weit in die Nacht hinein zu vernehmen, die Ostermesse beginnt um Mitternacht und dauert bis zum Morgen. Dann werden alle Gläubigen das Fasten brechen, das sie 55 Tage lang befolgt haben und während dem sie weder Fleisch, noch Milchprodukte assen.
«Aksum mit seiner Kathedrale ist das religiöse Zentrum Äthiopiens, ja eigentlich von Afrika», sagt am nächsten Morgen der Archäologe und Museumskurator Haile Selassie Berhe. Und unser Führer Terekbe Mersha ergänzt, die Äthiopier seien fromme, gläubige Christen, äthiopisch-orthodoxe Christen. Es gebe auf dem Land zwar auch Muslime, aber nicht mehr als 1 Prozent. Damit verrät er, dass sich seine äthiopische Welt auf das nördliche Hochland beschränkt, wo wir uns befinden, und wo tatsächlich die orthodoxen Christen die überwiegende Bevölkerungs-Mehrheit bilden. Kirchen gibt es hier überall in grosser Zahl, in den Ortschaften wie auf dem Land, wo es sich oft nur um einfache Rundhäuser handelt, 37’000 sollen es in ganz Äthiopien sein. Weltberühmt sind die Felsenkirchen, die seit dem 12. Jahrhundert in fast unglaublicher Anstrengung aus dem Fels heraus geschlagen wurden. Rund 150 solche Monolith-Kirchen soll es im Norden Äthiopiens geben, die berühmtesten sind in Lalibela zu finden. Auf ganz Äthiopien bezogen liegen die Religions-Verhältnisse etwas anders, nicht ganz zwei Drittel der 100 Mio. Äthiopierinnen und Äthiopier sind Christen, die Mehrheit davon Äthiopisch-orthodoxe, ein Drittel sind Muslime, die Übrigen gehören anderen Religionen an. Bis zum Ende der Herrschaft von Kaiser Haile Selassie im Jahr 1974 war der äthiopisch-orthodoxe Glauben Staatsreligion. Mönche und Popen hatten und haben grossen Einfluss auf die Gläubigen und erhalten von diesen, so arm sie auch sein mögen, Spenden, die ihnen den Lebensunterhalt sichern.
Warum aber ist Aksum das Zentrum der Religion? – «Weil in Aksum die Bundeslade mit Moses‘ Gesetzestafeln aufbewahrt wird», antwortet Kurator Berhe, «darum ist Aksum der heiligste der heiligen Orte». Um uns die Hintergründe zu erschliessen, nimmt er uns auf eine Rundfahrt durch Aksum mit. Schon nach kurzer Zeit erahnen wir, dass die Gegend von grosser historischer Bedeutung ist: auf dem nördlichen Stelen-Feld sind Dutzende kunstvoll behauener, kleiner und grösserer monolithischer Steinsäulen aufgestellt, die beiden Grössten ragen 24 Meter hoch in den jetzt blauen Himmel. Die längste Säule misst 33 Meter, liegt jedoch zerbrochen am Boden, sie ist beim Aufrichten umgestürzt. «Es würde Stunden dauern, um die wechselvolle Geschichte dieser Kunstwerke zu würdigen», sagt Haile Selassie Berhe, der uns anderes zeigen will, und gibt doch einige Erklärungen ab. «Die Stelen wurden vor 1’800 Jahren in einem Stück aus dem Felsen gehauen und von Elefanten über mit Butter geschmierte Rundhölzer aus einer Entfernung von sechseinhalb Kilometern hierher geschleppt und zeugen als Grabsteine von der Macht der Herrscher des axumitischen Reiches». Dieses entstand ab 400 v.Chr. und blieb während vielen Jahrhunderten eines der mächtigsten Imperien der Alten Zeit, das sich bis ins Niltal und über das Rote Meer in den Süden Arabiens hinein ausdehnte und Handel bis nach Italien, Indien und Syrien trieb.
Unweit der Stelen befindet sich das «Bad der Königin von Saba», ein in den Felsen gehauenes Wasserbecken von Fussballfeld-Grösse, dessen hellbraunes Wasser uns allerdings nicht zum Bade verführt. «Vor dem axumitischen Reich herrschte die Königin von Saba nicht nur über das Sabäer-Reich auf der arabischen Halbinsel (im heutigen Jemen, RK), sondern auch über die Region Aksum, ihr Palast liegt westlich von Axum, wir werden ihn bald erreichen», sagt Kurator Berhe im Fahrzeug. «In Jemen hat sie ihren zweiten Marmorpalast. Im Alten Testament heisst sie Königin von Saba, im Koran Bilqîs, wir Äthiopier nennen sie Makeda». In der alt-äthiopischen Schrift Kebra Negast ist nicht nur wie im Alten Testament und im Koran festgehalten, dass Makeda den König Salomo in Jerusalem besuchte, sondern mehr noch, dass sie von diesem schwanger wurde und auf der Heimreise einen Sohn gebar, den sie Menelik nannte. Dieser besuchte als junger Mann seinen Vater, um dessen Segen zu erhalten. Das Angebot Salomos, sein Nachfolger zu werden, lehnt Menelik ab und reist mit einem Gefolge Salomos nach Axum zurück. Es zeigt sich, dass seine Begleiter die Bundeslade mit Moses‘ zwei Tafeln der 10 Gebote mit sich genommen haben. Menelik erhält von seiner Mutter den Thron und begründet eine Herrschaft, die erst 1974 mit dem Sturz Kaiser Hailer Selassies, der sich 225. Nachfolger von König Salomo und «Löwe von Juda» nannte, endet. Die Bundeslade aber wird bis zum heutigen Tag in Aksum aufbewahrt, in einer Kapelle neben der Kathedrale der Heiligen Maria von Zion, unzugänglich für die Öffentlichkeit.
Während ich versuche, mein ungläubiges Lächeln nicht als überhebliches Belächeln erscheinen zu lassen, ist Gesprächspartner Haile Selassie Berhe der Ernst in Person. Es gibt für ihn ebenso wie für die 45 Millionen äthiopischen Christen nicht den Hauch eines Zweifels an der Wahrheit, dass sich die Bundeslade in ihrem Land, in Aksum, befindet. Und daran wird auch die gegenwärtige Ausstellung Mythos und Realität im Reich der Königin von Saba im Antikenmuseum in Basel (bis 2. Juli 2017), die aufzeigt, dass das Sabäer-Reich erst rund 400 Jahre nach Salomos Herrschaft entstand und dass es keinerlei Zeugnis von einer Königin gibt, nichts ändern. So stark ist der Glaube, dass er Bergfelsen versetzen kann (siehe Matth. 17,20).
Alltag in … Juba, Süd-Sudan Neue Wege, Heft 1/2 Januar 2017
Unabhängig – aber wieder im Krieg
Abendstimmung am Nil im Süd-Sudan. Männer sitzen im Schatten mächtiger Bäume bei sammen und schwatzen. Die Szenerie am breiten Strom scheint wie aus längst vergangenen Zeiten. Gondokoro heisst der geschichtsträchtige Ort, 1841 zum ersten Mal von Europäern, die sich durch die immensen Sudd-Sümpfe im Süden des Sudan gekämpft hatten, gesichtet. Gondokoro war in früheren Zeiten ein Umschlagsplatz für Elfenbein und Sklaven gewesen. Und wie hier leben die Menschen vielerorts im Süd-Sudan noch in einfachsten Verhältnissen. Der Süd-Sudan sei die am wenigsten entwickelte Region, die er je gesehen habe, meinte Rainer B., ein Schweizer mit 30 Jahren Erfahrung in Entwicklungsländern. Pet-Flaschen jedoch, die auf dem Wasser schwimmen, sind ein Zeichen dafür, dass wir in der Moderne sind. Die Flaschen, die der Strom langsam mit sich Richtung Norden trägt, kommen aus Juba, der nahen Hauptstadt des Süd-Sudan. (mehr)
Alltag in … Windhoek, Namibia Neue Wege, Heft 11 November 2016
Wohin mit dem Reiterdenkmal?
Windhoek ist eine schmucke Kleinstadt, deren deutsch-koloniale Geschichte in vielerlei Hinsicht bis heute spürbar ist. In der Architektur etwa, wo die drei berühmten Burgen Schwerins-, Heinitz- und Sanderburg, die evangelisch-lutherische Christuskirche und das Parlamentsgebäude „Tintenpalast“, sowie zahlreiche Ministerien, Regierungs- und Geschäftsgebäude im deutschen Kolonialstil mit den modernen Hochhäusern aus Beton, Stahl und Glas kontrastieren. Oder in der Gastronomie, wo deutsche Hausmannskost und nach deutschem Reinheitsgebot gebrautes Bier auf mancher Speisekarte zu finden sind. Zur deutsch-kolonialen Geschichte, die einem in den Strassen der namibischen Hauptstadt auf Schritt und Tritt begegnet, gehören auch Monumente und Denkmäler, wovon das älteste die 1890 angelegte Alte Feste auf dem Hügel über der Stadt ist. Das „grosse Dorf“, wie Einheimische Windhoek auch nennen, ist ganz nach dem Geschmack der Touristen aus Europa und den USA, die zwar in erster Linie wegen der atemberaubenden Landschaften und der reichen Tierwelt nach Namibia kommen, meistens jedoch nichts gegen einen kurzen Aufenthalt in der Hauptstadt einwenden. Ihre Zahl hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen und so trägt der Tourismus neben Diamanten und Bodenschätzen einen nicht zu vernachlässigenden Teil zum namibischen Nationaleinkommen bei. (mehr)
Alltag in … Karima, Sudan Neue Wege Nr. 9 September 2016
Alte und neue Zeiten
Unter dem Vordach des Bahnhofs von Karima ist es angenehm kühl. Auf jeden Fall weniger heiss als unter der Sonne, die schon seit 6 Uhr früh vom wolkenlos blauen nordsudanesischen Himmel herabbrennt. 400 Kilometer Strasse liegen hinter uns, seit mein sudanesischer Begleiter Salah und ich am Morgen Khartum in Richtung Norden verlassen und den morgendlichen Stossverkehr der Hauptstadt hinter uns gelassen haben. Nach einer guten Weile Fahrt auf der neu asphaltierten, wenig befahrenen Strasse durch die Wüste waren wir einer Karawane beim Zwischenhalt begegnet. Weit über hundert Dromedare hatten sich zu einer Pause auf dem Wüstenboden niedergelassen. 13 Tage seien sie schon unterwegs auf ihrem Weg von El Obeid in der Provinz Kordofan nach Wadi Halfa an der Grenze zu Ägypten, wo sie die Tiere verkaufen wollten. Sie seien gut unterwegs und hätten die Hälfte der Strecke hinter sich, sagte Yasir, der Obmann der fünf Karawanenführer, bei einem Glas süssen Tees, zu dem er uns mit der sprichwörtlichen Gastfreundschaft eingeladen hatte. (mehr)
Alltag in … Johannesburg Neue Wege Nr. 6 Juni 2016
Begegnungen auf dem Gandhi Square
Das Stadtzentrum von Johannesburg ist ein vibrierender urbaner Lebensraum. Seit vielen Jahren setzen sich die Stadtbehörden dafür ein, dass das Geschäftsviertel, das Ende der 1980er Jahre von den meisten Unternehmen verlassen wurde, wieder zum Leben erweckt wird. Reviving Jozi heisst der Slogan, Jozi – so der Kosename der Stadt – wiederbeleben. Das bisher Erreichte kann sich sehen lassen. Und man kann es zu Fuss erkunden. Gemütlich schlendere ich durch die verkehrsberuhigte Main-Street und begegne freundlichen Passanten und Passantinnen. Die junge Frau mit weiss gefärbtem, kurzem Kraushaar trägt ein tiefblaues Hosenkleid, weisse Tennisschuhe und eine passende Tasche am Arm. Meinem Kopfnicken entgegnet sie mit einem verschmitzten Blick. Der stattliche Mann im gelben T-Shirt erwidert meinen Gruss, obschon er mehrere mit Trauben gefüllte Kartonschachteln auf dem Kopf balanciert. Der Polizist, der von einem Container aus die Strasse überwacht, versichert mir, ich könne hier unbesorgt herumgehen. (mehr)
Alltag in … Burkina Faso
Goldschürfen in Bouda
Wie der Junge mich anschaut! Sein Blick hat etwas Fragendes, etwas Eindringliches. Wir kennen uns nicht. Der geschorene Kopf, das Gesicht, der Hals und die nackten Arme sind mit weissem Staub bedeckt, als wäre er ein Naturheiler. Oder als hätte seine Mutter Maniokmehl aufgetragen, um ihn vor der sengenden Sonne zu schützen. Was will dieser Weisse von mir, fragt sich der Junge vielleicht, sein Blick würde zu dieser Frage passen. Vielleicht zur noch einfacheren Frage: verheisst dieser Weisse Gutes für mich oder Schlechtes? – Später dann, wenn wir uns wiederbegegnen, in der schönen Strohhütte des «Comptoirs», ist sein Gesichtsausdruck ein ganz anderer, gelöst, heiter, lächelnd. (mehr)
Die vergessenen Afrikaner
Der kamerunische Autor Patrice Nganang hat einen Roman über ein bisher kaum bekanntes Thema geschrieben: Afrikanische Kolonialsoldaten im Zweiten Weltkrieg. Nganang zeigt auf, dass die Auswirkungen dieser Zeit noch heute in Kamerun und anderen afrikanischen Ländern spürbar sind.
Die fast vergessene Geschichte der sogenannten Senegalschützen
Kontext Die vergessenen Afrikaner 25.8.2015
Auf den Spuren der schwarzen Pharaonen
SRF2Kultur, Atlas, 30. Januar 2011 Auf den Spuren der schwarzen Pharaonen von Ägypten nach Sudan (65’49“)
Der Pharao-Tempel im ägyptischen Abu Simbel ist weltberühmt. Doch auch der Sudan hat eine grosse pharaonische Vergangenheit: Dort gibt es sogar mehr Pyramiden als in Ägypten, und von dort kamen um 700 vor Christus die so genannten „Schwarzen Pharaonen“, Nubier, die während einem Jahrhundert Ägypten beherrschten. Der Schweizer Archäloge Charles Bonnet hat dort eindrucksvolle Granitstatuen entdeckt, die von jener Zeit erzählen. Atlas reist von Abu Simbel aus auf den Spuren der Pharaonen gen Süden, dem Nil entlang nach Sudan.
Sudan hat eine grosse pharaonische Vergangenheit, die bei uns wenig bekannt ist. Über Jahrhunderte hinweg versuchten die nubischen Könige, die im Gebiet des heutigen Nordsudan lebten, die ägyptischen Herrscher zu besiegen. Es gelang ihnen im 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, als sie ein knappes Jahrhundert lang Ägypten beherrschten. 2003 entdeckte der Genfer Archäologe Charles Bonnet eindrucksvolle Granitstatuen der so genannten Schwarzen Pharaonen, die von jener Zeit erzählen.
Charles Bonnet war 31 Jahre alt, als er im Jahr 1965 zum ersten Mal in den Sudan reiste. Zu dritt seien sie gewesen, erzählt der heute 77Jährige. Sie hätten an der Universität Genf eben ein Diplom in Orientalischen Wissenschaften gemacht. Romantisch seien sie gewesen und hätten aus Freundschaft gemeinsam im Sudan forschen wollen. Der Sudan sei damals sehr wenig bekannt und auch ein wenig rätselhaft gewesen. Man habe sie als verrückt bezeichnet, weil es nach damaliger Auffassung im Sudan nichts zu entdecken gab. Die Archäologie spielte sich in Ägypten ab.
Heute sagt das niemand mehr. Bonnet stellt das nicht ohne Stolz fest. Seit über 50 Jahren arbeitet er nun im Sudan. Etwa 2 bis 3 Monate pro Jahr, das ist viel Zeit in diesem Land, findet er. Doch es war eine gute Entscheidung, in den Sudan zu gehen. Wir haben in diesen 46 Jahren glänzende Entdeckungen gemacht, haben enorme Fortschritte gemacht, was unsere Kenntnisse über den Sudan und das nubische Gebiet betrifft. Wir haben nicht nur festgestellt, dass Nubien eine phänomenale, ausserordentliche Vergangenheit hat, sondern auch, dass diese Vergangenheit phasenweise mit Ägypten rivalisiert hat. (mehr)
Für seine archäologischen Fundstätten ist der Sudan bei Touristen und Reisenden kaum bekannt. Viel mehr ist das Land bei uns mit seinen Konflikten im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Mit dem Krieg in Darfur im Westen. Oder mit dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg im Süden, dem die Unabhängigkeit des Südsudans dieses Jahr ein definitives Ende machen will. Im Nordwesten jedoch, im fruchtbaren Niltal von der sudanesischen Hauptstadt Khartum bis zum Nasser-See, war von Krieg kaum je etwas zu spüren. In diesem Gebiet, dem ehemaligen Nubien, forschen Archäologen schon seit langem, schon vor Charles Bonnet.
Als wir im Sudan ankamen, erzählt dieser, war gerade die Zeit der berühmten UNESCO-Kampagnen zur Rettung der nubischen Monumente, die vom steigenden Wasser des Nasser-Sees bedroht waren. Das nubische Erbe erstreckt sich ja von Assuan bis weit in den Sudan hinein. So stützten wir uns auf die Forschungen, die andere vor uns gemacht hatten. Besonders auf jene des amerikanischen Archäologen und grossen Ägyptologen George Reisner. Er hat schon vor 100 Jahren die Eckpfeiler der historischen Chronologie Ägyptens und Nubiens aufgestellt und so erkannt, dass Nubien sehr wohl von Ägypten verschieden war und sich in Nubien andere historische Phänomene ereignet hatten als in Ägypten.
Ein Ort ist zentral für die Geschichte der nubischen Reiche und deren Erforschung: Kerma, nördlich der heutigen Stadt Dongola gelegen. Hier haben Bonnet und sein Team, aber auch Archäologen aus anderen Ländern, bei ihren Ausgrabungen Funde gemacht, die bis in die Mittelsteinzeit zurückreichen. In Kerma haben Bonnet und seine Mitarbeiter anfangs des Jahres 2003 eine sensationelle Entdeckung gemacht: sie fanden ein Grab nicht mit menschlichen Überresten, sondern mit Bruchstücken von Statuen aus schwarzem Granit. Es zeigte sich, dass sie sich zu sieben Statuen zusammenfügen liessen: die Schwarzen Pharaonen.
Eine solche Entdeckung geschieht tatsächlich sehr selten im Leben eines Archäologen, räumt Bonnet ein. Das Glück das wir beim Fund dieser Statuen gehabt haben, war, dass sie im Boden vergraben waren, in vierzig Teilen, und dass sie fast vollständig waren. So haben wir sie restaurieren können, so wie sie jetzt im Museum von Kerma stehen.
Eine der sieben Statuen überragt alle anderen. Sie stellt den nubischen Pharao Taharqa dar. Er verkörpert den Höhepunkt nubischer Macht. Unter seiner Herrschaft beherrschten die Nubier ganz Ägypten bis nach Alexandria und darüber hinaus die Region bis in den heutigen Libanon. Das war im 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, in der sogenannten 25. Dynastie.
Eine andere Statue repräsentiert seinen Nachfolger Tamutamun, der ebenfalls den Sudan und Ägypten beherrschte. Die weiteren Figuren stellen Könige dar, die später regierten. Interessant ist zu sehen, dass auch diese späteren nubischen Könige die Krone von Ober- und Unter-Ägypten trugen. Das heisst, auch wenn sie nicht mehr die Schwarzen Pharaonen waren, die über Ägypten und Sudan herrschten, fühlten sie sich immer noch mächtig genug, um die weisse und rote Krone Ägyptens zu tragen.
Diesen Umstand deutet Bonnet dahin gehend, dass die Ägypter sich vor ihren nubischen Nachbarn im Süden sehr in Acht nehmen mussten, auch nachdem sie die Nubier wieder aus Ägypten vertrieben hatten. Das Risiko bestand offenbar, dass die nubischen Könige erneut die Macht in Ägypten hätten erobern können. Und um diese Gefahr zu bannen, zerstörten die Ägypter die Statuen der Schwarzen Pharaonen.
Die nubischen Pharaonen hatten ihre Herrschaft über Ägypten keine Hundert Jahre lang halten können. Ihr Reich war von Äthiopien, aber auch von den Assyrern bekämpft worden, die bis nach Theben beim heutigen Luxor vordrangen. Schliesslich wurden die nubischen Pharaonen von ägyptischen Heeren geschlagen und mussten sich vorübergehend weit nach Süden – ins heutige Meröe – zurückziehen.
Bonnet entschlüsselte weitere Details, was die Statuen der Schwarzen Pharaonen betrifft. Es war der ägyptische Pharao Psametik II., der die Armee der schwarzen Pharaonen besiegte. Und er liess auch deren Statuen zerschlagen. Sein nubischer Gegenspieler, König Aspelta, war nach seiner Niederlage in den Süden geflüchtet, kam aber später nach Kerma zurück. Da fand er die zerschlagenen Statuen seiner Vorgänger und bat den Priester, sie zu begraben. Aspelta liess nicht nur die Statuen vergraben, sondern auch alles, was zu ihnen gehörte, eine Vielzahl von Plaketten aus Lapislazuli, Goldblätter, Glasobjekte, usw. Diese Statuen waren „lebendig“, sie wurden regelmässig neu mit Goldblättern, Arm- und Halsbändern geschmückt. Wir haben sie ohne diesen Zierrat aufgestellt, doch sie wirken auch so prächtig und die stattliche Erscheinung dieser Könige Nubiens kommt voll zur Geltung.
Das Spannende und Faszinierende an der archäologischen Forschung im sudanesischen Nubien ist die Entdeckung, dass es neben der übermächtigen pharaonischen Hochkultur Ägyptens eine eigene nubische Zivilisation gegeben hat, dass es eine uralte nubische Tradition gibt, sagt Bonnet. Mein Kollege Mathieu Honegger von der Universität Neuchâtel gräbt zurzeit ein 10Tausend Jahre altes Dorf aus. Dabei stellen wir fest, dass es schon zu jener frühen Zeit eine komplexe urbane Organisation gab, wie es sie in Ägypten nicht gab!
Später bildete sich eine zweite nubische Stadt, die wir prä-Kerma nennen, mit grossen Dimensionen, weit entwickelt und mit besonderen Quartieren. Darauf folgt ein unabhängiges Königreich Nubien, das Nubien der Schwarzen Pharaonen, das Ägypten die Stirn bietet und Angst einflösst, so dass die ägyptischen Pharaonen beschliessen, mächtige Festungsanlagen unterhalb des 2. Nil-Kataraktes anzulegen. Es ist ein komplexes, immenses nubisches Königreich, das sich in seiner Hochperiode 1’300 km im Niltal erstreckt. Nach dessen Besiegung beeinflussen die ägyptischen Pharaonen die Geschicke Nubiens. Wir dürfen nicht vergessen, dass Ägypten eine immense Zivilisation ist.
Die nubische Zivilisation hat also einerseits ihre eigenen Charakteristiken, ist aber anderseits auch stark von der ägyptischen Kultur geprägt. Es handelt sich um ägyptische Einflüsse, die von der andersartigen nubischen Kultur assimiliert wurden, wobei die nubischen Wurzeln und Traditionen während seiner ganzen Geschichte bestehen bleiben.
Die Grabungen in Kerma und an anderen Orten Nubiens gehen weiter. Es gibt noch viel zu entdecken, sagt Charles Bonnet. Der Genfer Archäologe arbeitet gleichzeitig darauf hin, die historischen Stätten für Besucher zugänglich zu machen. Er will bei den heutigen Menschen das Interesse an der alten nubischen Zivilisation wecken. Dazu dient auch das Museum von Kerma, das vor 4 Jahren eröffnet wurde. Die Archäologie sei nur interessant, wenn sie in direkte Verbindung mit den heutigen Menschen trete, wenn man den Menschen von heute diese ausserordentliche Zivilisation der Vergangenheit verständlich mache.
Dazu gehört auch die Einsicht, dass Nubien geschichtlich gleichsam ein Tor zu Afrika darstellt. Wir befinden uns hier am Ursprungsort eines ganzen Kontinents, sagt Bonnet. Zum Beispiel, was die Architektur betrifft, die sehr reich und eigenständig ist, und deren ältere Perioden erst wenig erforscht sind. Die Nubier sind dem afrikanischen Kontinent viel näher als die Ägypter. Und wir Forscher von den Universitäten Genf und Neuenburg möchten diese traditionellen afrikanischen Wurzeln verstehen, die es in Ägypten nicht gibt. Es ist wirklich eine Annäherung an einen ganzen Kontinent.
Diese Feststellung überrascht vor dem Hintergrund der jüngeren sudanesischen Geschichte, war doch der Norden des Sudan seit der Unabhängigkeit 1956 in Kriege mit dem schwarzafrikanischen Süden verstrickt. Deshalb haben die Menschen des Südens ja auch für die Loslösung vom Norden gestimmt. Doch Charles Bonnets Perspektive reicht weiter zurück. Im Grunde sind wir hier daran, mittels der Archäologie eine geschichtliche Wahrheit zu rekonstruieren. Wir geben mittels der Archäologie – es ist vielleicht etwas gewagt, dies zu sagen – dem Sudan eine Identität, einem Land, das früher nicht so sehr an seine Geschichte glaubte, heute dies aber viel stärker tut.
Charles Bonnet ist denn auch für seine archäologische Forschung von der sudanesischen Regierung mit der höchsten Ehrung – dem Orden der zwei Nile – ausgezeichnet worden und hat von den Universitäten Khartoum und Dongola/Karima je einen Ehrendoktortitel erhalten. Doch er bleibt realistisch, will den Kopf auf den Schultern belassen, wie er sich ausdrückt: im Sudan sind die archäologischen Überreste weniger spektakulär als in Ägypten. Aber wenn wir das Interesse an einer anderen Periode, Bevölkerung und Gegend wecken können, ist das eine gute Lektion. Man muss versuchen, das Andere zu akzeptieren.
Nubiens machtvolle Schwarze Pharaonen sind eine kurze Episode in der Dreitausendjährigen Geschichte der ägyptischen Pharaonendynastien. Der prekäre Zustand ihrer Gräber in Nuri erscheint wie ein Sinnbild dafür. Ihre Statuen im Museum von Kerma aber zeugen vom Stolz einer alten Kultur, deren Reichtum wir erst erahnen können. (30.11.2011)
Afrika – Klischee und Realität
GKB Weitblick 2011