(Forts.) Alltag in … Windhoek, Namibia

Wohin mit dem Reiterdenkmal?          Neue Wege, Heft  Nr. 11  November 2016

Für eine Besichtigung Windhoeks nehme ich im Tourismus-Büro in der Stadtmitte die Dienste eines Touristen-Führers an. Das Wetter zeigt sich von der besten Seite, kein Windchen in diesem „Windwinkel“, was Windhoek wörtlich heisst, und dank der Höhe von 1’700 M. ü. Meer, auf der die Stadt gelegen ist, ist es auch nicht allzu heiss. Issy, wie sich mein Führer nennen lässt, weiss jedes Detail über alles, nennt im Verlauf unseres Spazierganges die Namen von Orten, Strassen, Plätzen, Gebäuden, Einkaufszentren, Statuen etc. und erläutert Hintergründe und Geschichte. Es beginnt mit dem Curt von François-Denkmal, unweit des Tourismus-Büros. So hiess der Anführer der deutschen Schutztruppe und Reichskommissar der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, der sich 1890 auf einen Vertrag mit dem Oberhäuptling der Herero, Maharero kaTjamuaha, berief, um in Windhoek eine befestigte Stellung anzulegen und die Siedlung aufzubauen. Und schon sind wir im friedlichen Stadtgebiet inmitten der gewalt- und leidvollen Geschichte der deutschen Kolonisation.

Deutsche Schutztruppe? Wen schützte die? Das Volk der Nama in seinem erbitterten Kampf gegen das Volk der Herero? Und umgekehrt? – Die deutschen Interessen natürlich, sagt Issy.

Was heisst das? – Die Inbesitznahme des Landes. Das war der Zweck der kolonialen Unternehmung. Reichskommissar von François liess als erstes das Land kartographieren, aus militärischen Gründen, aber auch mit dem Zweck, Bodenschätze und die besten Weide- und Landwirtschaftsflächen auszumachen. Die deutschen Siedler, die im 19. Jahrhundert auf der Suche nach einem besseren Leben auch nach Afrika auswanderten, wollten Land.

Wie eigneten sie es sich an? Wurden die angestammten Besitzer und Bewohner enteignet und vertrieben? Wurden ihre Chiefs bezahlt oder mit lächerlichen Entschädigungen übers Ohr gehauen?

Schon von François‘ Vorgänger, Ernst Heinrich Göring, Vater des späteren Reichsmarschalls und Kriegsverbrechers Hermann Göring, hatte Maharero über den Tisch gezogen, als er diesem einen sogenannten Schutzvertrag aufdrängte. Denn dieser war ganz zum Nutzen der Deutschen. Als der Herero-Chief dies erkannte, widerrief er ihn. Doch von François zwang den Vertrag Mahareros Sohn Samuel auf, um – wie schon erwähnt – in Windhoek Fuss fassen zu können. Als sich kurze Zeit später der Anführer der Nama, damals Hottentotten genannt, Hendrik Witbooi, der Herrschaft eines solchen „Schutzvertrages“ nicht unterordnen wollte, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. In deren Verlauf töteten die deutschen Schutztruppen unter von François‘ Führung am 12. April 1893 bei einem Massaker Dutzende Frauen, Kinder und Männer.

Und diesem Mann verleiht noch heute eine Statue ein ehrendes Gedenken?

Mitten in der Geschichte heisst mitten in der Gegenwart. Bei Namibias Unabhängigkeit 1990 besassen rund 3’000 vorwiegend weisse Bürger die Hälfte des landwirtschaftlich nutzbaren Landes. Und bis heute ist der Landbesitz höchst ungleich verteilt und ein brisantes Politikum geblieben. Wir steigen zur Alten Feste hoch und stehen vor dem sogenannten Reiterdenkmal von 1912, einem überlebensgrossen, bronzenen Schutztruppenreiter mit Gewehr auf einem fünf Meter hohen Steinsockel mit Inschrift: „Zum ehrenden Angedenken an die tapferen deutschen Krieger, welche für Kaiser und Reich zur Errettung und Erhaltung dieses Landes während des Herero- und Hottentotten-aufstandes …ihr Leben ließen. Zum ehrenden Andenken auch an die deutschen Bürger, welche den Eingeborenen im Aufstande zum Opfer fielen. Gefallen, Verschollen, verunglückt, ihren Wunden erlegen und an Krankheiten gestorben …“. Der Aufstand der Herero 1904 richtete sich gegen den Landraub und die Unterjochung durch die deutschen Kolonisatoren. Bei einem Überfall töteten Herero-Kämpfer mehr als hundert deutsche Farmer und Soldaten. Die Antwort des deutschen Kommandanten Lothar von Trotha war unerbittlich: «Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schiessen. » In der Folge wurden 50’000 Herero- Männer, Frauen und Kinder in die Omaheke-Wüste gedrängt, der Rückweg wurde ihnen abgeschnitten. Eine grosse Zahl von ihnen verdurstete.

Das einst stolze Rinderzüchter-Volk der Herero wurde dezimiert – einige Historiker sprechen von Völkermord – und muss heute als Minderheit um seine Stellung in der namibischen Gesellschaft kämpfen, doch das Gedenken gilt den Deutschen. Das kann doch nicht sein. – Issy kennt diesen Einwand. Er hat darüber schon oft debattiert und ist dennoch der festen Meinung, dass das Reiterdenkmal als historisches Zeugnis stehen bleiben soll, ebenso die anderen Statuen und Monumente. Issaskar Hiakaere, wie er mit vollem Namen heisst, sei sogar ins Präsidialamt gerufen worden, um seine Argumente vorzubringen, erzählt er. Es hat nichts genützt. Das Reiterdenkmal wurde Ende 2013 entfernt. An seiner Stelle steht heute eine Statue des Landesvaters Sam Nujoma mit erhobenem Arm und der Verfassung in der Hand.

Der bronzene Schutztruppenreiter auf seinem Pferd steht derweil im Innenhof der Alten Feste auf blosser Erde, von mehreren Stangen gestützt, damit er nicht umfällt.