(Forts.) Alltag in … Juba, Süd-Sudan

Unabhängig – aber wieder im Krieg       Neue Wege, Heft Nr. 11  November 2016

In Juba herrscht reger Verkehr. Moderne, blitzblanke Geländefahrzeuge brausen auf den neu asphaltierten Strassen – die ersten Asphaltstrassen im Süd-Sudan, einem Gebiet grösser als die Iberische Halbinsel – oder stauen sich in langen Kolonnen. Handys sind allgegenwärtig. Der Frieden vom Januar 2005 nach fünf Jahrzehnten Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden des Sudan und die Unabhängigkeit des Süd-Sudans im Juli 2011 haben in Juba einen Boom ausgelöst. Ein Regierungsviertel mit repräsentativen Ministerialgebäuden und luxuriösen Residenzen wurde und wird aufgebaut, Strassen und Avenuen wurden und werden angelegt. Einige Hotels und Dutzende Unterkünfte in mehr oder weniger eingerichteten Schiffs-Containern mit fantastischen Namen wie «Paradise», «Da Vinci» und «Friendship» bieten Unterkunft an. Die Gäste sind zur Mehrheit Angestellte der vielen internationalen Organisationen und Hilfswerke, die in der Stadt ihre Büros eröffnet haben. Eine eigentliche Hilfsorganisationen-Wirtschaft habe sich hier etabliert, meint Nelson Wilson vom Süd-Sudanesischen Kirchenrat. Auch Geschäftsleute sind da und suchen Aufträge im Strassen- und Häuserbau zu ergattern oder sind auf Verträge im Erdölsektor oder in der Holzwirtschaft aus.

Der Boom lockt auch in grosser Zahl Menschen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben von überall im Süd-Sudan in die neue Hauptstadt. Ausserhalb Jubas ist der Süd-Sudan – von den britischen Kolonialherren einst als «closed territory» abgeschottet und von den darauf folgenden Herrschern im Norden systematisch vernachlässigt – eines der am wenigsten entwickelten Gebiete Afrikas, wo es an Strassen, Gesundheitsdiensten und Schulen mangelt. So nimmt Jubas Bevölkerung mit jedem Tag zu. Die Leute vom Land suchen Arbeit, gute Schulen, Unterkunft. Doch die Verhältnisse sind für die meisten prekär, die Slums breiten sich aus. Strom haben nur wenige und eine Wasserversorgung gibt es nicht. So gehört Motorenlärm von Generatoren zu Juba ebenso wie am Nilufer der Lärm der Motorpumpen, mit denen Tankwagen mit Flusswasser gefüllt werden. Auf diese Weise versorgen sich jene, die es sich leisten können, mit dem lebensnotwendigen Gut, das Spital, die Verwaltung, diplomatische Vertretungen, die UNO-Friedenstruppen, die Entwicklungsorganisationen, Hotels und gutsituierte Private.

Die Hoffnung, hier Arbeit zu finden, geht aber nur für wenige in Erfüllung. All die Nichtregierungsorganisationen nähmen ihre Angestellten aus Uganda, Ruanda, Kenia oder Somalia mit, für die Südsudanesen gäbe es bei ihnen kaum Arbeit, sagt Nelson Wilson. Und die Regierung habe ja nicht Arbeit für alle.  Nur einen einzigen Produktionsbetrieb gibt es, eine neue Bierbrauerei in südafrikanischem Besitz. Doch ihr „White Bull“-Bier hat einen schwierigen Stand gegen das kenianische „Tusker“ oder das „Pilsner“ aus Uganda. Fast sämtliche Waren und Gebrauchsgüter werden in den Süd-Sudan importiert, vom Benzin über Autos zu Ersatzteilen, Büro-Utensilien, Kleider, bis hin zu Getränken und Nahrungsmitteln. Entsprechend teuer ist alles, erschwinglich nur für jene, die eine Anstellung bei der Regierung oder bei einem Hilfswerk haben. Juba ist zu einer der teuersten afrikanischen Kapitalen geworden.

An der Bootanlegestelle am Nilufer sitzt der Fischer Yohannes Gai am Boden und knüpft ein neues Netz. Er bietet Kleinfische, die er kunstvoll zu mehreren Zöpfen verschlungen hat, zum Kauf an. Da ich seine Muttersprache Nuer nicht verstehe, hilft ein junger Mann mit Übersetzen. Yohannes arbeite zehn Tage an einem Netz. Er sei wegen der Fische hier. Er wohne in Bentiu. Von dort bringe er die Fische hierher. Wenn er alles verkauft habe, gehe er wieder zurück, um neuen Fisch zu holen. Hier in Juba gebe es weniger Fische als in Bentiu. Es sei allerdings weit entfernt, drei Tage mit dem Motorboot. – Juba vor dem Dezember 2013.

Seither ist alles schlimmer geworden. Nicht nur für den Fischer Yohannes Gai, der wohl nicht mehr nach Juba kommt aus Angst, gelyncht zu werden, weil er ein Nuer ist. Seit Präsident Salva Kiir im Dezember 2013 seinen Stellvertreter Riek Machar entlassen hat, führen die beiden einen erbitterten Machtkampf gegeneinander. Es herrscht Krieg im Süd-Sudan, im jüngsten Land der Welt, ein Bürgerkrieg, den alle Parteien auch gegenüber Zivilisten mit äusserster Brutalität führen. Die beiden unnachgiebigen Führer setzen ganz auf ihre eigene Ethnie, Kiir auf das Mehrheitsvolk der Dinka, Machar auf die zweitgrösste Bevölkerungsgruppe der Nuer. Beide mobilisieren ethnische Milizen, um die gegnerische Seite zu schwächen, mit Grausamkeiten gegen die Angehörigen der anderen Ethnie und Massakern. Inzwischen geht die süd-sudanesische Armee, die aus der ehemaligen Befreiungsarmee SPLA hervorging und von den Dinka kontrolliert wird, auch gegen andere Volksgruppen vor, die von Salva Kiir verdächtigt werden, Riek Machar zu unterstützen. Zehntausende Menschen sind getötet worden, mehr als zwei Millionen mussten von ihren Wohnorten fliehen. Ein Ende ist nicht abzusehen. Adama Dieng, UNO-Berater zur Verhütung von Völkermord, warnt, der ethnische Hass gegen Zivilpersonen drohe zum Völkermord zu führen. – Nach dem Abschluss des sudanesischen Friedensabkommens 2005 hatte mir ein Südsudanese in der Hauptstadt Khartoum gesagt, er sei so glücklich, dass er jetzt in seine Heimat zurückkehren und dort leben könne, ohne Unannehmlichkeiten, ohne Krieg.